Vermeer, „Gigant des Jetzt“ [Feuilleton in Die Zeit, 09.02.2023]

André Brömmel, 12. April 2023
Auf den Punkt:

Kommunikation ist in der Lage, Meinungen und damit Menschen zu manipulieren. Auch Kunst, also z.B. Bilder sind Kommunikation. Wenngleich Unternehmen immer auch in der Pflicht sind, zu kommunizieren, haben sie zugleich eine Verantwortung den Menschen gegenüber, diese nicht in die Irre zu führen. Ein Spagat.

Über die Macht der Worte, Manipulation und warum Kommunikation Menschen beeinflusst.

Für Marketer ist die Erkenntnis keine neue, dass Kommunikation Menschen lenken kann. Dabei wird allzuoft „nur“ an Marketing (oder einfach „Werbung“) gedacht. Dabei begegnet uns Kommunikation jeden Tag, überall. Wirklich: überall. Und nimmt (unterbewusst) Einfluss auf unsere Entscheidungen und damit auf unser Verhalten bei der Arbeit, im Alltag und in der Freizeit.

 

Besuch des Rijksmuseum und warum ich mir ein bestimmtes Bild ansehe
Ich fahre am Sonntag, an einem sonnigen 1. Novembertag 2022 ins Rijksmuseum nach Amsterdam. Die Ausstellung interessiert mich. Über 75.000 Bewertungen  bei Google bezeugen eine lohnende Reise, die ich, wenn ich mich dem Durchschnitt anpasse, mit 4,6 Sternen bewerten werde. Werde ich?

 

Das Rijksmuseum Amsterdam ist das niederländische Nationalmuseum. Es widmet sich den Künsten, dem Handwerk und der Geschichte. Kunst von Vermeer, Van Gogh und Rembrandt u.v.a. sind hier zu finden.

 

Mein Besuch dauert nur 3 Stunden und damit 1,6 Stunden weniger als der durchschnittliche Besucher investiert. Ich bin beeindruckt. Insbesondere von dem Bild „Dienstmagd mit Milchkrug“, gemalt 1658 bis 1660 von Jan Vermeer mit Öl auf Leinwand. Ich scheine nicht der Einzige zu sein, der dieses Bild im Original sehen möchte. ich bin ehrlich: ich mag Bilder. Aber ich habe im Grunde keine Ahnung. Ich bin nur Betrachter, Zuschauer.

 

Was fasziniert mich wirklich?
Ich lebe für Kommunikation. Schon eine Ewigkeit. Las ich mit 8 Jahren TKKG, lese ich heute alles, was sich mir in den Weg stellt, legt oder blättert. Und ich mag es, wenn Kommunikation bewegt. Zugleich suche ich regelmäßig Gründe für erfolgreiche oder erfolglose Kommunikation, denn letztlich soll diese doch vor allem eines: ankommen. Wahrgenommen werden. Klar ist bis heute: Das AIDA-Prinzip lebt noch immer. Und wenn Kommunikation schon beim A (Attention, engl. Aufmerksamkeit) scheitert, ist der Rest Makulatur und IDA (Interest, Desire, Action) finden nicht mehr statt. Was hat das mit dem Rijksmuseum zu tun? Eine ganze Menge.

 

Wenn Die Zeit in ihrem Feuilleton vom 09.02.2023 Jan Vermeer als „Gigant des Jetzt“ beschreibt, dann beeinflusst diese Botschaft das Besucherverhalten. Ohne Zweifel. Die Zeit-Leser dieser Ausgabe dürften sich in der wohligen Vorstellung wähnen, zu den Wissenden zu gehören, doch sind sie auf den zweiten Blick Nutznießer und Opfer der Botschaft zugleich. Denn: Die Botschaft könnte neben der sachlichen (oder eingefärbten?) Information auch als Aufforderung oder Vorwurf verstanden werden:

  • Sie kannten Vermeer bisher nicht?
  • Sie haben noch kein Werk von ihm gesehen?
  • Sie interessieren sich nicht für Kunst?
  • Sie waren noch nicht im Rijksmuseum?

Spätestens hier wird eines der vielen Spannungsfelder offensichtlich: das Dilemma zwischen neutraler Information und Werbung, getarnt als (Presse-)Beitrag. Dem Leser stellt sich selten die Frage, warum ausgerechnet nun dieses oder jenes Thema nun behandelt wird. Vielmehr geht es um die Frage: „Ist das interessant für mich?“ Ob dahinter eine Marketingabteilung steckt, die umfangreiche Berichte zu Vermeer verfasst, übersetzt und an Verlage versendet oder ein Redakteur seiner größten Leidenschaft frönt, lässt sich vermutlich nur selten sagen. Die Frage nach dem Huhn und dem Ei ist bis heute ebenso unbeantwortet. Und vielleicht ist das auch gut so, eröffnet uns dieses Nicht-Wissen doch einen unversperrten Blick auf die Sache selbst. Oder?

 

Warum zieht „Dienstmagd mit Milchkrug“ Heerscharen von Menschen auf sich? Und mich.
Eine gewagte These: Es ist die Story dahinter bzw. das, was über Jahre dazu geschrieben, analysiert und berichtet wurde. Die Erkenntnis ist, dass zu kaum einem anderen Werk von Vermeer häufiger und umfangreicher geschrieben und publiziert wurde. Und jedem Marketer ist klar: Je mehr darüber geschrieben und gesprochen wird, desto häufiger trifft diese Information auf andere und wird besser erinnert. Und es gilt: je besser etwas erinnert und positiv abgespeichert wird, desto eher fällt die Entscheidung in eben diese Richtung. Meiner Meinung nach ist das ein Grund, warum eben diese Heerscharen zu diesem und keinem anderen Bild pilgern. Dagegen ist das Bild „Der Geograph“ von Vermeer nicht minder spektakulär und kraftvoll (in meinen Augen), aber weitaus weniger berühmt. „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ wird hier und da als das populärste Werk von Vermeer bezeichnet. Gegen die „Dienstmagd mit Milchkrug“ kann sie sich offenbar nicht oder nur schwerlich behaupten. Gleiches Phänomen gilt vermutlich auch für berühmte Werke wie die Mona Lisa von Leonardo da Vinci oder David von Michelangelo. Würde man fragen, was sie – die Besucher – dort erwarten, wären die Kuratoren vermutlich nicht selten überrascht ob der möglicherweise oberflächlichen Antwort. Doch ist es (moralisch) verwerflich, kommunikativ ein einziges Bild in den Fokus zu setzen? Oder ist es gar nötig? Und ist das überhaupt steuerbar?

Die unternehmerische Pflicht zu kommunizieren
Unternehmen haben die Pflicht, zu deren Leistungen und Produkte zu kommunizieren. Denn nur so sind Menschen in der Lage zu entscheiden, ob das Produkt oder die Leistung interessant ist. Würden Unternehmen nicht kommunizieren (gemeinhin auch „werben“ genannt), keine Produkttexte formulieren, keine Details preisgeben, so müssten sich potenzielle Kunden die Informationen selbst organisieren. Woher auch immer diese dann kommen sollen. Und aus all den in illustren Quellen gefundenen Informationen müsste sich genannter potenzieller Kunde daraus eine Meinung bilden und dann folglich entscheiden. Daraus folgt: gute, ehrliche und authentische Kommunikation ist für Kunden wertvoll, weil sie helfen, Entscheidungen zu treffen.

 

Unternehmen, die nicht kommunizieren, machen es Kunden schwerer, zu entscheiden.

André Brömmel

 

Dali und die verrückten Bild-Titel

Der Name ist Teil der Kunst. Meiner Meinung nach jedenfalls. Beispiel: Dali mit dem Bild „Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, 3 Sekunden vor dem Erwachen.“ Ein Bild, dass den Betrachter im wahrsten Sinne anspringt. Mich jedenfalls. Zusammen mit einem „verrückten“ Titel und im Hinterkopf das Gesicht des Künstlers Salvador Dali mit seinem Schnauzbart vor Augen, verharre ich.

 

Unternehmen müssen lernen, (besser) zu kommunizieren
Die Empfehlung ist keine Überraschung: Unternehmen müssen verstehen, dass sie mit guter Kommunikation einen Beitrag zu mehr Markttransparenz schaffen und Kunden damit einen Dienst erweisen. Daher stellt sich gar nicht die Frage nach dem „ob”, sondern nur die Frage nach dem „wie“ und „wie oft“. Pauschale Antworten darauf gibt es nicht.

 

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PS: Wie bewerte ich das Rijksmuseum nun denn?
Auf den Punkt gebracht: mit einer 4. Das Rijksmuseum ist kein gewöhnliches Museum. Es ist luftig, hell, einladend und gut ausgestattet. Es ist zugleich unübersichtlich und die App hilft mir nur bedingt weiter, mich nicht im Labyrinth von Gängen zu verlaufen. Viele Exponate sind eindrucksvoll. An einigen sind umfangreiche Erläuterungen zu finden. An den meisten nicht. Wenngleich – wie oben erwähnt – Erläuterungen auch manipulieren können und sie daher kritisch betrachte, reflektiere ich und stelle fest, dass mir keine Erläuterungen noch weniger helfen. Was in diesem Falle nur bleibt, ist das Bild, die Skulptur und der Eindruck, den es auf mich macht.

André Brömmel, 12. April 2023
Auf den Punkt:

Kommunikation ist in der Lage, Meinungen und damit Menschen zu manipulieren. Auch Kunst, also z.B. Bilder sind Kommunikation. Wenngleich Unternehmen immer auch in der Pflicht sind, zu kommunizieren, haben sie zugleich eine Verantwortung den Menschen gegenüber, diese nicht in die Irre zu führen. Ein Spagat.